Stadtschwärmer Leipzig
Wer keinen Insider kennt, schnappt sich dieses Buch und wird an die liebsten Orte von waschechten... Weiterlesen
Wer an die Deutsche Demokratische Republik denkt, hat hauptsächlich strikte Kontrolle und ein konservativ geprägtes Weltbild vor Augen. Dass es zumindest im Privaten auch anders ging, zeigen Vorlieben wie das FKK-Baden, das sich bei den DDR-Bürgern großer Beliebtheit erfreute. Auch beim Thema Sex und dem dazugehörigen Spielzeug herrschte ein reges Interesse. So bildeten sich vor dem ersten Sexshop der DDR teils lange Schlangen.
Waren erotische Accessoires bis vor wenigen Jahren noch ein Tabuthema, handelt es sich heute um echte Lifestyle-Produkte. Meist reichen ein paar Klicks im Netz, um Erotikzubehör für Paare oder Männer-Sexspielzeug zu bestellen. In den Zeiten vor dem Internet erforderte die Erfüllung besonderer erotischer Träume jedoch einen Besuch im Sexshop.
In der DDR eröffnete der erste dieser Art am 15. Juni 1990. Er entstand im Erdgeschoss eines typisch-graubraunen DDR-Hauses an der Ecke Elsbeth- / Reginenstraße. Äußerlich hatte die Fassade schon bedeutend bessere Tage gesehen. Umso auffälliger war daher am Eingang an der Ecke die weiße Fläche mit schwarzer Aufschrift: „Novum-Markt“.
Die Betreiber des neuen Sexshops bangten noch in der Nacht vor der Eröffnung um ihr Projekt. Schließlich galt das Noch-Regime nicht nur als konservativ, sondern regelrecht als prüde. So wurden etwa Frauen, die ihre Sexualität frei auslebten, schnell als Prostituierte gebrandmarkt, kriminalisiert und teils weggesperrt.
Zudem galt noch immer der „Pornografie-Paragraf 125“. Laut diesem war zwar der Besitz pornografischer Inhalte nicht strafbar. Wer diese verbreitete, musste jedoch mit bis zu zwei Jahren Gefängnis rechnen.
Doch die Behörden machten im Juni 1990 keinen Gebrauch mehr von diesem Gesetz und genehmigten die Eröffnung des „Novum-Markts“. Allerdings unter einer Bedingung: Das Wörtchen „Erotik“ hatte an der Außenfassade nichts zu suchen.
Morgens um 8.53 Uhr war es schließlich so weit. Der erste Sexshop der DDR öffnete offiziell seine Pforten –besser gesagt, die schmale Tür, die ins enge Ladeninnere führte.
Trotz der Enge drängten sich jedoch schnell die ersten Interessenten in den Gängen. Rund 20 Männer, die vor allem „mal schauen“ und „sich einen Überblick verschaffen“ wollten. Auch mehrere Fotografen waren zugegen und hielten das damals ungewöhnliche Geschehen für die Nachwelt fest.
Eröffnet wurde der erste Sexshop der DDR übrigens von zwei ehemaligen Angestellten der Leipziger Straßenbahn, die sich mit einem Partner aus dem Westen zusammentaten. Kurz vor der Wiedervereinigung war ein solches Geschäftsmodell weit verbreitet.
Dagegen war das, was es in dem Laden zu kaufen gab, für viele ein – wie der Name es schon verriet – wahrhaftiges „Novum“.
Dementsprechend bildete sich vor der Ladentür schnell großer Andrang. Geduldig warteten die DDR-Bürger (fast ausschließlich Männer) auf eine Gelegenheit, einen Blick in den Shop zu werfen. Dass es nicht beim Schauen blieb, zeigten die hohen Umsätze, die die Betreiber vor allem in den ersten Wochen nach der Eröffnung verbuchen konnten.
Vom Erfolg des Leipziger „Novum-Marktes“ inspiriert, ließen sich auch andere von der Goldgräberstimmung in Sachen Erotik anstecken. Nur kurze Zeit später eröffneten daher die ersten Sexshops in Dessau und Magdeburg.
Allerdings blieb das erfolgversprechende Geschäft mit den Sextoys nur von kurzer Dauer. Denn nur kurz nach der Wiedervereinigung verschlug es bereits die großen Erotik-Ketten aus dem Westen in die ehemalige DDR.
Für die Betreiber der eingesessenen Sexshops hieß das: expandieren oder sich spezialisieren. Gelang beides nicht, drohte innerhalb kurzer Zeit die Geschäftsaufgabe.
Auch Leipzigs erster Sexshop blieb von dieser Entwicklung nicht verschont und musste bereits in den späteren 1990er-Jahren wieder schließen.