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Filmset der Neuproduktion im Großen Saal des Gewandhauses zu Leipzig, Foto: Eric Kemnitz
Filmset der Neuproduktion im Großen Saal des Gewandhauses zu Leipzig, Foto: Eric Kemnitz

Gewandhaus zu Leipzig mit Silvester-Konzertstream: Beethovens 9. Sinfonie in selten gespielter Fassung

Originelle Lesart des allbekannten Werks in der Interpretation des Klavierduos Shalamov

22.12.2020Kultur
Gewandhaus zu Leipzig

Auch wenn das traditionsreiche Große Concert mit Beethovens 9. Sinfonie zum Jahreswechsel entfallen muss, bleibt das Gewandhaus zu Leipzig seiner Silvester-Tradition treu und bietet in diesem Jahr eine originelle Lesart des allbekannten Werks in der Interpretation des Klavierduos Shalamov. Die Neuproduktion fürs Internet markiert gleich zwei Premieren: Es ist das Gewandhaus-Debüt des Klavierduos und Liszt´s Beethoven-Bearbeitung wird erstmals im Gewandhaus aufgeführt.

Ausgerechnet zum Abschluss des Beethoven-Jahres 2020 kann das Gewandhausorchester zu Silvester keine neue Interpretation von Beethovens 9. Sinfonie spielen. Der Gesundheitsschutz und die damit einhergehenden Auflagen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie haben dem traditionsreichen Silvesterkonzert des Gewandhausorchesters 2020 einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Grade in diesem Jahr haben wir Beethovens emotionale Kraft und sein „Seid umschlungen!“ so nötig wie nie, denn seine Musik berührt mit ihrer unmittelbaren Sinnlichkeit jeden von uns ganz individuell, unabhängig vom Kontext und auch ganz ohne Worte. Und deswegen gilt im Dezember 2020 erst recht: Silvester ohne Beethovens 9. Sinfonie aus dem Gewandhaus kommt gar nicht in Frage! Wir füllen deswegen die sehr kurzfristig entstandene Lücke im Spielplan mit einer künstlerisch starken Variante. Sie stellt eine in jeder Hinsicht anspruchsvolle Auseinandersetzung mit diesem für das Gewandhaus so bedeutenden Teil seiner Identität und Tradition dar.“ (Andreas Schulz, Gewandhausdirektor)

Beethovens 9te Sinfonie op. 125 für 2 Pianoforte gesetzt von F. Liszt

Deswegen erklingt Beethovens Klassiker (1824) nun in der sehr selten zu hörenden Fassung für zwei Klaviere von Franz Liszt (1851). Die spektakuläre Bearbeitung wird in dieser Produktion vom Klavierduo Shalamov interpretiert – ergänzt um Beethovens originale Pauken-Stimme. Diese spezielle Variante bietet den Zuhörer*innen eine originelle Lesart und überraschende Höreindrücke dieses populären Werks. Die Aufzeichnung, die filmisch aufwändig von twosyde media und dem Gewandhaus zu Leipzig produziert wurde, ist eine zweifache Premiere: Das Klavierduo Shalamov debütiert im Gewandhaus und Liszts Bearbeitung der Sinfonie erklingt erstmals im Gewandhaus.

„Zur Erkenntnis der großen Meister und zur Bildung des Sinnes für das Schöne beitragen“

Bearbeitungen von musikalischen Meisterwerken, die dem Zweck dienten, sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen, stand Liszt durchaus positiv gegenüber. Allerdings bemängelte er die Qualität der meisten Arrangements, die den wahren Geist und die vielfältigen Details des Originals oftmals nur unzureichend wiedergeben würden. In den technischen Verbesserungen und der Ausweitung des Tonumfangs von modernen Klavieren sah er allerdings die Chance, „mehr und Besseres zu leisten“, wie er selbst über seine Beethoven-Bearbeitungen schrieb. Liszt wollte nicht einfach die „vielen bisherigen Ausgaben der Symphonien mit einer neuen, in gewohnter Weise bearbeiteten vermehren“ und „bloß die großen Umrisse der Beethovenschen Komposition“ darstellen, sondern er hatte den Ehrgeiz, „auch alle jene Feinheiten und kleineren Züge auf das Pianoforte zu übertragen, welche so bedeutend zur Vollendung des Ganzen mitwirken“ und „so zur Erkenntnis der großen Meister und zur Bildung des Sinnes für das Schöne“* beitragen. Liszts Fassung der 9. Sinfonie von Beethoven für zwei Klaviere fand prominente Anerkennung durch Clara Schumann und Johannes Brahms, die das Werk 1855 anlässlich von Brahms 22. Geburtstag gemeinsam durchspielten.

Durch „die  Ausdehnung, welche das Pianoforte in der neuesten Zeit zufolge der Fortschritte in der technischen Fertigkeit und in der mechanischen Verbesserung gewonnen hat, wird es jetzt möglich, mehr und Besseres zu leisten, als bisher geleistet worden ist. Durch die unermessliche Entwickelung seiner harmonischen Gewalt sucht das Pianoforte sich immer mehr alle Orchesterkompositionen anzueignen. In dem Umfange seiner sieben Oktaven vermag es, mit wenigen Ausnahmen, alle Züge, alle Kombinationen,  alle  Gestaltungen der gründlichsten und tiefsten Tonschöpfung wiederzugeben“ **.

Dass dieses Anliegen pianistische Ungeheuerlichkeiten mit sich brachte, die auf Seiten der Interpreten entsprechend ungeheure technische und musikalische Fertigkeiten voraussetzen, verschweigt der Komponist, der selbst als beeindruckender Virtuose am Klavier bekannt war. Das Klavierduo Shalamov stellt sich dieser Herausforderung mit bewundernswertem Mut zum Risiko, kam die Anfrage des Gewandhauses doch erst Anfang Dezember als klar wurde, dass eine Chor-Orchester-Produktion des Werkes aufgrund der pandemiebedingten Umstände nicht möglich sein würde. Gemeinsam mit Tom Greenleaves, Solo-Pauker des Gewandhausorchesters, haben Alina Shalamova und Nikolay Shalamov die knapp siebzig Minuten dauernde, virtuose Transkription von Beethovens 9. Sinfonie für zwei Klaviere und Pauken kurzfristig einstudiert und im Gewandhaus auf Video aufgezeichnet.

Ein Jahreswechsel ohne Beethovens 9. Sinfonie, ausgerechnet im 250. Jubiläumsjahr des Komponisten? Das ist schwer vorstellbar. Deshalb finde ich es großartig, dass das Gewandhaus – trotz der Einschränkungen für Konzerte und bei der Orchesterbesetzung – eine Möglichkeit gefunden hat, die musikalischen Botschaften von Solidarität, Zusammenhalt und Verständigung erklingen zu lassen. Mit der Aufzeichnung der 9. Sinfonie, die sich jeder online zu Hause anschauen kann, setzt das Gewandhaus ein Zeichen der Hoffnung und Lebensfreude. Gerade in diesem Jahr, dass uns allen so viel abverlangt, brauchen wir das noch ein bisschen mehr. Deshalb fördert die Sparkasse Leipzig die Aufzeichnung und Übertragung von Beethovens 9. Sinfonie sehr gerne und aus voller Überzeugung.“ (Dr. Harald Langenfeld, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Leipzig)

Auf www.gewandhausorchester.de/stream wird rechtzeitigzum Beginn des Konzertstreamsein Audiointerview veröffentlicht, das der Musikjournalist Martin Hoffmeister mit den drei Interpreten führte. Ann-Kathrin Zimmermann hat ein Programmheft mit weiterführenden Informationen geschrieben, das ebenfalls rechtzeitig in Englisch und in Deutsch zum Download angeboten wird.

** aus Liszts Vorwort zur ersten Auflage seiner 1865 bei Breitkopf & Härtel erschienen Transkriptionen der Beethoven-Sinfonien.



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