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Pauline (li.) spielt Schlagzeug und Mattis (2.v.l.) singt gern – die beiden Kinder der Familie Krüger wachsen mit einer Hörschädigung auf. Foto: Stefan Straube / UKL
Pauline (li.) spielt Schlagzeug und Mattis (2.v.l.) singt gern – die beiden Kinder der Familie Krüger wachsen mit einer Hörschädigung auf. Foto: Stefan Straube / UKL

Fotoausstellung in der Audiologie des Universitätsklinikums Leipzig erzählt von einer unbeschwerten Kindheit mit Hörschädigung

Mut machen für ein ganz normales Leben dank Hörhilfen: Familie Krüger möchte Betroffenen zeigen, was möglich ist

26.05.2021Gesundheit
Universitätsklinikum Leipzig

Eine Kindheit mit Hörschädigung ist nicht automatisch eine Kindheit voller Beschränkungen. Das möchten die Audiologen des Universitätsklinikums Leipzig (UKL) ihren kleinen Patienten und deren Eltern derzeit auch mit Hilfe einer Fotoausstellung vermitteln. Diese zeigt Kinder mit verschiedenen Hörhilfen in ihrem ganz normalen Alltag. Zwei von ihnen sind Pauline und Mattis Krüger. Ihre Geschichte zeigt, was möglich ist und macht allen Betroffenen Mut für ein Leben mit Hörhilfen.

Pauline lacht, Mattis tobt. Daneben lachen weitere Jungen und Mädchen von den Wänden. Insgesamt 16 Kinder zeigt die Fotoausstellung in den Warteräumen der Audiologie am UKL. Alle sind mit einer Hörschädigung auf die Welt gekommen und werden hier betreut. Manche haben ein Cochlea-Implantat erhalten, andere ein Hörgerät. Das Jüngste ist zwei Jahre, die Älteste, Pauline, 12 Jahre alt.  

"Als wir bei ihr die Diagnose hochgradige Schwerhörigkeit erhalten haben, war sie anderthalb Jahre alt", erinnert sich ihre Mutter Linda. "Damals habe ich mich extrem erschrocken." In den Familien gibt es keine Vorbelastungen, die angeborene Beeinträchtigung kam völlig unerwartet. Wie sollte es weitergehen? Was erwartet Pauline und ihre Eltern? Wieviel Normalität würde möglich sein? Und gäbe es das überhaupt noch - Normalität? Auch Prof. Michael Fuchs erinnert sich an dieses erste Gespräch. Er leitet die Sektion Phoniatrie und Audiologie am Universitätsklinikum Leipzig und sieht täglich bis zu 15 Kinder in der pädaudiologischen Spezialsprechstunde. Und regelmäßig muss er Eltern mitteilen, dass ihr Kind nichts oder nur sehr schwer hören kann. "Da muss man schon sehr abwägen, was man wann und wie sagen kann und welche Informationen vielleicht momentan zuviel sind", so Fuchs. Was der Experte für das Hören und die Stimme aber immer sagen kann: Es gibt Hoffnung, und es gibt Lösungen.

Bei Pauline folgten auf die Diagnose viele Untersuchungen, Gespräche mit dem Audiologie-Team aus Ärzten, Pädagogen, Sprachtherapeuten, Audiologieassistenten und dann die Anpassung von Hörgeräten beim Pädakustiker. Dafür steht in Leipzig ein gut funktionierendes Netz aus Akustikern und Pädakustikern zur Verfügung. Diese Alltagshelfer eröffneten Pauline den Weg in die Welt der Hörenden und eine (fast) normale Kindheit: Sie besucht heute die sechste Klasse eines Gymnasiums. Seit sie sechs Jahre alt ist, spielt sie Schlagzeug, nimmt an Wettbewerben teil. Für die anderen Kinder war ihr Hörgerät nie ein Problem, für sie selbst auch nicht. Nur eines findet sie schade: "Ich hätte gern einen besseren Wasserschutz, damit ich am See oder im Schwimmbad die Geräte nicht ablegen muss", sagt die Zwölfjährige. 

"Das kommt", versichert ihr Krystian Vogt, "das ist etwas, woran intensiv gearbeitet wird." Als Mitglied im großen Team der Audiologie betreut er zusammen mit weiteren Kollegen Pauline von kleinauf. "Aufgefallen ist Pauline im Hörscreening, genau wie später ihr Bruder Mattis", erzählt Vogt. Dafür ist das 2009 verpflichtend eingeführte Früherkennungsprogramm ein Segen. "Wir können so sehr zeitig feststellen, ob eine Höreinschränkung vorliegt und mit den richtigen Mitteln dafür sorgen, dass das Sprechenlernen ungehindert stattfinden kann", so Prof. Fuchs. Bei Pauline und ihrem Bruder hat dies geklappt. Beide sprechen wie alle anderen Gleichaltrigen auch. Dabei kam Mattis gehörlos zur Welt, mit neun Monaten erhielt er sein erstes Cochlea-Implantat (CI). "Damit war er lange unser jüngster Patient", erinnert sich Fuchs. Mit elf Monaten bekam Mattis das zweite CI. Es folgte ein drei Jahre dauernder Rehabilitationsprozess, in dem der Umgang mit dem Geräten auch vom Gehirn gelernt und trainiert werden musste. Ein Aufwand, der sich gelohnt hat: Der Sechsjährige  ist ein lebhafter Junge, der sich auf die Einschulung freut und gerne singt. Seine Sprachprozessoren hat Mama Linda in ein spezielles Stirnband eingenäht. Nur ein dezentes Blinken hinter dem Ohr weist darauf hin, dass das Stirnband nicht nur die Haare hält. Und einen unschlagbaren Vorteil hat es auch - wenn Mattis mal nichts hören will, legt er es einfach ab. 

Mit solchen und anderen Routinen meistern die Krügers ihren Alltag wie jede andere Familie auch - mit einem Unterschied: "Ich werde nie diesen Moment vergessen, als die Kinder dann zum ersten Mal etwas gehört haben", erzählt Vater Andreas. Bis dahin hatten ihm Beispiele Anderer Mut gemacht. "Natürlich fängt man an zu suchen, nach anderen, die etwas ähnliches erlebt haben", so der Vater. Berichte von betroffenen Familien haben ihnen geholfen und Bilder. "Da war zum Beispiel ein Vater mit seinem hörgeschädigten Kind zu sehen, der hat auf der Gitarre gespielt", erinnert sich Andreas. "Und ich dachte mir damals, es wäre schön, wenn ich das irgendwann auch einmal erreichen kann." Damit dies so eintritt, haben die Krügers viel unternommen, viele Förderungen wahrgenommen und auch viel Hilfe erhalten. "Diese Erfahrungen möchten wir gern weitergeben, an andere  Eltern, denen es so geht wie uns", so Andreas.  Deshalb haben sie auch gleich zugestimmt, als Krystian Vogt sie um Fotos für die Austellung bat. Jetzt lachen Pauline und Mattis von der Wartezimmer-Wand die Kinder und Eltern an, die auf einen Hörtest oder eine andere Untersuchung warten. Und einmal im Jahr beziehungsweise alle sechs Monate sitzen sie auch selbst dort, wenn sie zur Kontrolle kommen. "Das ist das Tolle an unserer Aufgabe, wir begleiten die Kinder über sehr viele Jahre bis zur Volljährigkeit", sagt Prof. Michael Fuchs. "Damit sehen wir, anders als viele unserer Kollegen, wie es ihnen über die Jahre ergeht." Und sie erleben ganz direkt, wie die Entwicklung rasant voranschreitet. "Vor vierzig Jahren konnte eine angeborene Taubheit nicht versorgt werden", so Fuchs. "Damals wurden die ersten Cochlea-Implantate eingesetzt. Und heute können wir damit und mit modernen Hörgeräten tauben und schwerhörigen Kindern ein Leben in völliger Normalität ermöglichen." So wie Pauline und Mattis - die das auch völlig normal finden.



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