Am Sonntagabend hat das internationale Tanz- und Theaterfestival euro-scene Leipzig erfolgreich den Leipziger Festivalherbst 2025 beendet. Das Programm stand dieses Jahr unter dem Leitmotiv LOVE BODY POLITICS. Im Fokus stand dabei der Körper als Bühne aktueller gesellschaftlicher Konflikte. Gleichzeitig wurde eine breite Vielfalt von Tanz und Theater präsentiert.
Christian Watty, Festivalleiter der euro-scene Leipzig blickt zufrieden zurück: “Die Künstlerinnen und Künstler haben in diesem Jahr auf eindrucksvolle Weise gezeigt, wie politische Themen und persönliche Geschichten in Tanz und Theater über den Körper erfahrbar werden, weil er selbst Träger von Geschichte, Identität und Macht ist. Der eigentliche Star des Festivals war aber das Publikum. Dass alle Programmpunkte weitgehend ausverkauft waren – erstmals sogar die Oper Leipzig – zeigt, wie lebendig und relevant dieses Festival für Stadt und Publikum auch im 35. Jahr bleibt.”
Vom 4.-9. November 2025 wurden 14 internationale Gastspiele gezeigt: darunter zwei Uraufführungen, drei Deutschlandpremieren und vier Koproduktionen. Ergänzend standen unter anderem zwei Filme, drei Workshops und ein Vortrag auf dem Programm. Viele Veranstaltungen hatten freien Eintritt, darunter erstmals eine fünfstündige Choreografie zum Mitmachen in der Innenstadt, die mit einer großen Tanzparty auf dem Marktplatz endete.
Künstler:innen aus über 16 Ländern (u.a. Belgien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada, Norwegen, Österreich, Schweiz, Serbien, Slowenien, Spanien, Südafrika, Taiwan, Uganda, USA) zeigten ihre Kreationen in Leipzig. Trotz der eingeschränkten Platzkapazitäten im Schauspielhaus aufgrund der Renovierungsarbeiten auf der Großen Bühne gelang es der euro-scene Leipzig, durch die erstmalige Einbeziehung des öffentlichen Stadtraums als zusätzlichen Veranstaltungsort nahezu ebenso viele Menschen zu erreichen und zu begeistern wie in den Vorjahren:
Rund 4.100 Zuschauer:innen haben die 33 Veranstaltungen des Bühnen- und Diskursprogramms der euro-scene Leipzig 2025 besucht. Beim SLOW WALK der Compagnie ROSAS unter der künstlerischen Leitung der Tanzikone Anne Teresa De Keersmaeker in der Leipziger Innenstadt, nahmen etwa 350-400 Menschen aktiv teil. Mit einer Auslastung von über 95% beim Bühnenprogramm zieht das Festival insgesamt eine äußerst positive Bilanz.
Ein Höhepunkt des Festivals war die Uraufführung PEOPLE WILL PEOPLE YOU des südafrikanischen Performers Steven Cohen am 7. und 8. November. Mit einem hochemotionalen und berührenden Stück nahm er Abschied von der Bühne und von seiner Zeit als performender Künstler. In der komplett ausverkauften Schaubühne Lindenfels erlebte das Publikum eine intime Reflexion über Leben, Kunst und Erinnerung – ein Abschied, der noch lange nachhallen wird.
Weitere Programmpunkte
Eröffnet wurde das Festival am 4. November mit HEALING HATE des zwölfköpfigen Performance-Kollektivs Caravan of LUV. Mit ritualhaften Bildern, bewegender Musik und einer klaren Botschaft gegen Hetze und Hass in der Gesellschaft besetzte die „Karawane der Liebe“ die Oper und verwandelte das ganze Haus sowie den Opernvorplatz in einen Raum voller Gesang und Applaus. Besonders gefeiert wurden die Ehrengäste Bürgermeisterin Dr. Martina Münch, der Schweizer Musiker Bonaparte und der 40-köpfige Leipziger chorbeau. Die Aufführung stand in bewusstem Kontrast zum etablierten Opernkanon: Der Caravan of LUV stellte die Konventionen des Bühnenraums infrage und verwandelte die Bühne in einen Ort von Provokation, Heilung und gemeinsamer Erfahrung. Trotz des gewagten Experiments waren nahezu alle 1.200 Plätze im Großen Saal ausverkauft.
Wie Herkunft, Geschichte und Machtverhältnisse Identität formen, zeigen weitere Programmpunkte: Die in Dresden lebende Taiwanerin Fang-Yun Lo verhandelte in THE SEAS BETWEEN US wie politische Systeme und kulturelle Prägungen unser Denken und Handeln beeinflussen. In ME TOO, GALATEA verband der brasilianisch-französische Choreograf Pol Pi antike Mythen mit der Gegenwart der #MeToo-Bewegung und berührte viele Menschen im Publikum..
SEX EDUCATION II: FIGHT von Tjaša Črnigoj aus Slowenien erinnerte an feministische Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien. Und Mila Turajlić aus Serbien rief in NON-ALIGNED NEWSREELS das Erbe der Blockfreien Bewegung ins Bewusstsein.
Dieses Jahr standen bei der euro-scene Leipzig insgesamt 10 starke Tanz-Performances im Fokus: Cristiana Morganti – ehemalige Solisten des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch – und ihr Bühnenpartner Emanuele Soavi reflektierten in ihrer Choreografie THIS IS A PREMIERE mit Witz und Leichtigkeit ihre künstlerischen Biografien. Manuel Roque, Shooting Star der Tanzszene in Québec, brachte mit LE VENT SE LÈVE und BANG BANG zwei Meisterwerke ins diesjährige Festivalprogramm und füllte insgesamt vier mal den Saal der Diskothek. Die Tanz-Performances in der Residenz wurden ebenfalls mit tosendem Applaus gefeiert: Robert Ssempijja untersuchte in ALIENATION III koloniale Spuren in der Stadtplanung Kampalas und Harald Beharie präsentierte in seinem Solo BATTY BWOY eine radikale Auseinandersetzung mit Stereotypen queerer Schwarzer Körperbilder.
Das Kinderstück AMAZONEN verzauberte an zwei Tagen etwa 160 Kinder zwischen 6 und 12 Jahren mit einer Geschichte über Mut, Gerechtigkeit und Widerstand. Und die weltbekannten Compagnie ROSAS von Anne Teresa De Keersmaeker stand mit ihrem Stadtprojekt SLOW WALK am Samstag, 8. November auf dem Programm: der meditative fünfstündige Spaziergang in Zeitlupe durch die Leipziger Innenstadt bot eine radikale Entschleunigung für alle zum Mitmachen.
Den Festivalabschluss bildete am 9. November DANCER OF THE YEAR des international gefeierten Choreografen Trajal Harrell, eine poetische Reflexion über die Bewertung von Kunst und die Freiheit des Tanzes.
Das plus-Programm erweiterte den Spielplan um Filmvorführungen, Publikumsgespräche und Vorträge und wurde auch dieses Jahr wieder sehr gut angenommen. So sprach beispielsweise die Philosophin Jule Govrin in ihrem Vortrag POLITISCHE KÖRPER über die Zusammenhänge von Macht, Körper und Gesellschaft.
Spielorte 2025
Institut für Theaterwissenschaft, LOFFT – Das Theater, Oper Leipzig, Passage Kinos, Residenz, Schaubühne Lindenfels, Schauspiel Leipzig, Westflügel Leipzig
Ausblick euro-scene Leipzig 2026
Die 36. euro-scene Leipzig findet vom 3. bis 8. November 2026 statt.
