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Azadeh Akhlaghi, Tehran – Mirzadeh Eshghi, 3 July 1924, 2012, Digitalprint auf Fotopapier
Azadeh Akhlaghi, Tehran – Mirzadeh Eshghi, 3 July 1924, 2012, Digitalprint auf Fotopapier

Vergessene Aufklärungen

Unbekannte Geschichten über den Islam in der zeitgenössischen Kunst

27.04.  - 04.08.2019 Ausstellung
HALLE 14

»Islam« und »Aufklärung« erscheinen gegenwärtig als größtmöglicher Widerspruch. Jedoch ist auch die Forderung geschichtsvergessen, der Islam müsse sich – wie im 18. Jahrhundert das christliche Abendland – einem Prozess der Aufklärung unterziehen. Während im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa Hexenverbrennungen und Ketzerprozesse stattfanden, Bücher verboten und Glaubenskriege geführt wurden, erfreuten sich Kunst und Wissenschaften in der islamischen Welt einer Blütezeit. Der Philosoph Abu Yusuf al-Kindi forderte im 9. Jahrhundert dazu auf, die Ideen anderer Völker zu studieren. Universalgelehrte wie Abu Raihan al-Biruni und Ibn Sina (latinisiert: Avicenna) führten 1.000 Jahre nach Christus in Zentralasien eine »östliche Renaissance« an, begründeten die Prinzipien von Trigonometrie und Algebra, entwickelten Algorithmen und Astrolabien sowie die Grundlagen der modernen Medizin.

Die Wiederentdeckung der klassischen Philosophie von Platon und Aristoteles in Europa wäre ohne islamische Bibliotheken und Gelehrte undenkbar. So zeigt Raffaels Fresko »Die Schule von Athen« auch den andalusischen Juristen, Arzt und einflussreichen Aristoteles-Kommentator Ibn Ruschd (lateinisiert: Averroës). Laut Muhammad Sameer Murtaza verdankt das Abendland den Muslimen nicht nur die Vermittlung der »Alten«, sondern auch den experimentellen Geist, der den Griechen noch fremd war. Der Koran selbst fordere auf, in der Beobachtung der Natur das Wissen zu mehren. Obwohl die westliche Moderne im kaum zu unterschätzenden Maße von den wissenschaftlichen Errungenschaften dieser aristotelisch-rationalistischen Denkströmung des Islams profitierte, wurde sie über die Jahrhunderte hinweg abgewertet, verleugnet und unsichtbar gemacht.

Der Koran ruft auch zur Toleranz gegenüber gesellschaftlicher Vielfalt auf. Die Basis vormoderner muslimischer Gesellschaften war eine »Kultur der Ambiguität« (Thomas Bauer), die es erlaubte, orientalische, persische und indische Einflüsse zu verbinden. Das Rechtsdenken ermöglichte es, mehrere Lösungen und Rechtsprinzipien parallel nebeneinander stehen zu lassen. Korankommentatoren und Philosophen konnten eine Vielzahl von Interpretationen und Argumenten präsentieren, ohne eine zu bevorzugen. Auch gesellschaftlich standen mehrere, facettenreichere Rollenbilder zur Verfügung: »Es war eine Gesellschaft, in der es keinen Mainstream, sondern vor allem Nischen gab, [...] in denen Sufis ebenso ungestört ihre Kreise drehen konnten, wie Astronomen neue Theorien von Planetenbewegungen ausprobierten.« (Frank Griffel)

Im Zuge des europäischen Imperialismus und Kolonialismus haben islamische Gesellschaften erhebliche Anstrengungen unternommen, sich dem europäischen Modell von Fortschritt, Modernisierung, Industrialisierung und Bildung anzupassen – zum Teil bis zur Selbstverleugnung. Einige Länder schnitten sich durch die Einführung des lateinischen Alphabets von der eigenen Denktradition und Literatur ab. So betrachtet, ist der fundamentalistische Islam ein Kind der Moderne, der die westliche Modernisierung genauso ablehnt wie die Vielfalt der vormodernen muslimischen Gesellschaften.

In Zeiten, in denen Islamismus, Populismus und Nationalismus Emanzipation und Vielfalt bedrohen, ist ein neues Projekt zum »Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit« im 21. Jahrhundert nicht nur dringlich, sondern auch überlebenswichtig. Ziel ist es, die kulturellen Verbindungen zwischen Orient und Okzident in einem seit Jahrtausenden andauernden Projekt der Aufklärung des Menschen herauszuarbeiten. Welche Bedeutung hat das reichhaltige islamische Erbe für Künstler*innen aus islamisch geprägten Ländern bzw. für islamisch geprägte Künstler*innen? Lassen sich klassische Formen wie Ornamente, Mosaike, Schattentheater und Miniaturen zeitgenössisch interpretieren und mit neuen Technologien wie Video-, Computer- und Soundkunst erweitern? Wie verbinden sich Spiritualität wie z.B. die des Sufismus mit aktuellen ästhetischen, gesellschaftlichen und sozialen Fragestellungen? Wie wehren sich junge Kunstschaffende gegen Despotismus und Kriegsrhetorik sowie gegen stereotype Rollenbilder von Geschlecht, Herkunft und Glauben?

Künstler: Adel Abidin, Azadeh Akhlagi, Sarah Al-Abdali, Feriel Bendjama, Manaf Halbouni, Abdellah M. Hassak, Zarah Hussain, Soukaina Joual, Yara Mekawei, Mehreen Murtaza, Eko Nugroho, Erkan Özgen, Imran Qureshi, Anahita Razmi, Haythem Zakaria

Artist in Residence: Islam Shabana

Kuratoren:
Elham Khattab (Out of the Circle, Kairo) & Michael Arzt (HALLE 14, Leipzig)

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Freitag: 11:00 - 18:00 Uhr

Veranstaltungsort
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